Appell aus der Film-, Kultur- und Medienbranche in Sachsen und Thüringen
21.08.2024
​
​
Liebe Wählerinnen und Wähler in Sachsen und Thüringen, liebe Leserinnen und Leser,
am 1. September 2024 werden in Sachsen und Thüringen neue Landtage gewählt. Wir Film-, Kreativ- und Medienschaffenden blicken mit Sorge und Anspannung auf die Zeit danach. Deshalb richten wir uns an Sie alle. Wir möchten Ihnen darlegen, welche Auswirkungen wir für unsere Arbeit und unsere Heimatregion befürchten, sollte die Alternative für Deutschland (AfD) die meisten Stimmen bekommen oder sogar an einer Landesregierung beteiligt werden. Denn in den Wahlprognosen liegt die AfD sowohl in Sachsen als auch in Thüringen vorn. Es geht uns alle an. Bitte schenken Sie uns daher kurz Ihre Aufmerksamkeit!
Es geht um unsere Zukunft
Wir sorgen uns um unsere künstlerische Freiheit, um unsere Arbeitsplätze und um das Medienangebot in unserer Heimatregion. Es geht uns hier nicht um einzelne Karrieren oder Firmen. Es geht um unsere sächsische und thüringische Filmbranche, unsere vielfältige Kulturlandschaft und unsere herausragenden Talente. Es geht um Finanzierbarkeit von Kultur für alle. Es geht um demokratische Grundrechte wie die Meinungs-, Rede- und Kunstfreiheit und faktenbasierte Information. Für uns geht es auch um unsere Lebensgrundlage und um unsere Zukunft.
Wir haben Angst, dass radikale politische Positionen mehr Macht bekommen – nämlich solche, die inhaltlichen Einfluss nehmen, unsere Arbeit verhindern und verletzliche Menschengruppen diskriminieren. Dazu gehören Menschen mit körperlichen Behinderungen, queere Menschen, Menschen of Color und auch Personen mit niedrigem Einkommen und geringer finanzieller Sicherheit. Das wiederum sind besonders ältere Menschen, nicht verheiratete Frauen und Menschen mit sogenannten niedrigen Bildungsabschlüssen.
Wir möchten klar zum Ausdruck bringen: Wir verstehen die Verunsicherung vieler angesichts der hohen Inflationsrate und der Kriege, die bedrohlich nah an Deutschland herangerückt sind. Wir sind wie viele andere Berufsgruppen auch von der globalen Wirtschaftskrise betroffen. Wir verstehen die Frustration über politischen Stillstand und anhaltende Koalitionsstreitereien auf Landes- und Bundesebene. Wir verstehen, dass im Lichte der aktuellen Probleme bittere Erinnerungen an „damals“ nach der Wende (Anm. d. Autor*innen: Der Systemwechsel in den ostdeutschen Bundesländern in den 1990er Jahren ging mit einem massiven wirtschaftlichen Abschwung einher. Im Zuge der wirtschaftlichen Umstrukturierung verloren unterschiedlichen Qullen zufolge vier von fünf ostdeutschen Arbeitnehmer*innen ihren Arbeitsplatz.) hochkommen, als viele sich ohnmächtig gefragt haben: "Warum entscheiden die über unsere Köpfe hinweg? Warum hört uns keiner zu?"
Es geht um die staatliche Förderung
Auch in unserer Branche herrscht Unsicherheit: Wir sind zum Beispiel als unabhängige Filmschaffende ohne große Konzernstrukturen im Rücken auf staatliche Mittel angewiesen. Obgleich die Kultur- und Kreativwirtschaft ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in unserer Region ist – in Sachsen z.B. mit fast 10.000 Unternehmen und mehr als 78.000 Beschäftigten (Anm. d. Autor*innen: mehr Kennzahlen bei "Kreatives Sachsen"). Dennoch können wir nur mithilfe von Fördermitteln Filme produzieren. Das dauert in der Regel mehrere Jahre. Erst dann können sie Erträge bringen – zum Beispiel, wenn sie sehr erfolgreich im Kino laufen oder viele Preise gewinnen. Kurzfristige inflationsbedingte Preissteigerungen können wir also nicht aus eigener Kraft ausgleichen.
Zwar hat die Bundesregierung im jüngst beschlossenen Haushalt die Mittel für die Filmbranche für 2026 und 2027 leicht erhöht. Das reicht aber nicht aus. Aktuell wird in Berlin ein neues Filmförderungsgesetz verhandelt. Erstmals soll es in Deutschland ein Steueranreizmodell geben, wie es in vielen europäischen Ländern längst üblich ist. Die Bundesländer müssen dieses Modell mittragen – und wir sehen diese Unterstützung in Gefahr, sollte die AfD in Sachsen und Thüringen in Zukunft mehrheitlich mitentscheiden.
Denn 2023 stellte die AfD im Bundestag selbst einen Antrag zur Änderung des Filmförderungsgesetzes und kritisierte darin unter anderem, dass Kriterien wie „Umweltbewusstes Drehen und Produzieren“, „Diversität“ und „Geschlechtergerechtigkeit“ in die Förderung aufgenommen werden sollen (Anm. d. Autor*innen, aus dem Referentenentwurf der BKM: „Ziel dieses Gesetzes ist neben der Fortführung des Abgabesystems und der abgabe- und aufgabengerechten Finanzierung der Filmförderungsanstalt die Modernisierung und Flexibilisierung der Förderung und ihrer Abwicklung, um auf zukünftige Entwicklungen dynamisch reagieren zu können. Im Zuge dieser Modernisierung werden auch Belange der Diversität, der Inklusion und Antidiskriminierung einschließlich der Belange der Geschlechtergerechtigkeit und der Belange behinderter Menschen sowie ökologische und soziale Nachhaltigkeit als Grundlagen der Förderung stärker verankert.“). Die AfD vermutete dahinter eine ideologische Einschränkung der künstlerischen Freiheit. Dabei sind diese Kriterien international längst Standard und die Umstrukturierung der Förderung soll dafür sorgen, die deutsche Filmwirtschaft zukunftsfähig und wettbewerbsfähig zu machen! Mit den Vorschlägen der AfD würde der deutsche Film im internationalen Vergleich eher abgewertet.
Wir alle brauchen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Auch über eine Verpflichtung für Streaminganbieter wie Netflix, Amazon Prime etc. und für Fernsehsender wird aktuell in Berlin debattiert: Sie sollen einen Teil ihrer Gewinne in die Branche reinvestieren.
Schon jetzt ist der Rundfunk ein zentraler Geldgeber für unsere Branche, insbesondere der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Wir alle finanzieren ihn über unseren Rundfunkbeitrag mit und dafür sind wir sehr dankbar. Denn mit Ihren und unseren Beiträgen entstehen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Filme und Medieninhalte für die Programme von MDR, ARD und ZDF. Die zentrale Bewertungsstelle KEF empfiehlt eine geringfügige Erhöhung der Rundfunkbeiträge im Jahr 2025. Diese scheint politisch aktuell aber schwer durchsetzbar.
Ohne diese Erhöhung sind weitere Einsparungen bei den Sendern, in ihrem Programm und auch bei uns zu befürchten. Damit fallen einerseits Aufträge und Jobs für mitteldeutsche Film- und Medienschaffende weg. Andererseits fallen für Sie aber auch Inhalte aus der Region weg – unsere Region wird in den Medien weniger stattfinden.
Die AfD geht aber noch weiter: Der thüringische Spitzenkandidat Björn Höcke hat 2023 angekündigt, die Medienstaatsverträge für Thüringen aufzukündigen, sollte er Ministerpräsident werden. Das wäre das Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Thüringen, er wäre nicht mehr terrestrisch empfangbar. Die Medienstaatsverträge sind darüber hinaus die Rechtsgrundlage für den privaten Rundfunk, wie z.B. RTL oder Pro Sieben/ Sat 1. Und es wäre das Ende eines wichtigen Finanzierungspartners für die thüringische Branche, denn die Rundfunkbeiträge würden in der jetzigen Höhe wegfallen und Werbeeinnahmen sinken.
Stattdessen propagiert die AfD einen "Grundfunk", der im Vergleich zu jetzt mit 10% der finanziellen Mittel auskommen soll. Die Partei bleibt Vorschläge schuldig, wie sie damit ein Mindestmaß an aktueller Berichterstattung, Kultur und Bildung aufrechterhalten möchte.
Wir vermuten, dass rein private Medienunternehmen den Markt übernehmen und gewinnorientiert gestalten würden – auch in der politischen und nachrichtlichen Berichterstattung, ähnlich wie FOX NEWS und CNN in den USA. Film würde dann nicht mehr stattfinden, denn ein Subventionsgeschäft lohnt sich nicht. Selbst in den Informationssendungen würde Programm nach Profitaussichten (also Reichweite in der Bevölkerung) gestaltet. Auch hier würde Mitteldeutschland ins Hintertreffen geraten, weil Sachsen und Thüringen nun einmal nicht zu den bevölkerungsreichsten Bundesländern gehören.
Wir machen wertvolle Kulturarbeit für alle
In unserem Umfeld mehren sich leider die Beispiele, wie die AfD in Städten und Gemeinden versucht, Kulturarbeit zu verhindern oder zumindest zu erschweren – z.B. indem sie Anträge auf Mittelkürzungen stellt oder gar versucht, kulturelle Einrichtungen als Unterstützer von Extremismus einstufen zu lassen (so geschehen im Falle des "Treibhaus" im mittelsächsischen Döbeln). Schon jetzt wird Kulturarbeit besonders im ländlichen Raum vielfach von Ehrenamtlichen getragen. Dieser Trend darf sich nicht fortsetzen, denn Kunst, Musik, Film und Theater sind ein wichtiges gesellschaftliches Gut!
An unseren Standorten in Sachsen und Thüringen und unter Beteiligung ansässiger Filmemacher*innen sind in den letzten Jahren äußerst erfolgreiche Filme entstanden, zum Beispiel: ANATOMIE EINES FALLS, THE ZONE OF INTEREST oder DIE SCHULE DER MAGISCHEN TIERE, u.v.m. Wir möchten auch weiterhin tolle Filme machen, die internationale Aufmerksamkeit auf unsere Heimatregion lenken. Die Stadt Görlitz hat durch den Film GRAND BUDAPEST HOTEL von Wes Anderson, der hier gedreht wurde, einen erfreulichen Zuwachs im Tourismus erfahren. Das wäre auch an anderen Orten möglich!
Deshalb appellieren wir an Sie: Vergessen Sie uns nicht! Denken Sie an die Demokratie! So wie die Menschen im Osten 1989 zusammen mobil gemacht haben gegen Unterdrückung und Bevormundung, müssen wir uns auch jetzt gegen Kräfte stellen, die unsere Freiheit und kulturelle Vielfalt einschränken wollen. Die gute Nachricht ist: Es ist noch nicht zu spät! Lassen Sie uns gemeinsam ein freiheitlich-demokratisches Sachsen und Thüringen sichern! Lassen Sie uns für ein verbindendes und menschenfreundliches Miteinander einstehen.
Wir bitten Sie, sich unseren Appell zu Herzen zu nehmen, wenn Sie am 1. September Ihr Wahlkreuz setzen.
Herzlich,
die Unterzeichnenden aus der Film-, Kultur- und Medienbranche in Sachsen und Thüringen
sowie ihre Unterstützer*innen​
​